Es ist mal wieder Zeit für etwas selbst erlebte Schachgeschichte. Nur wenige Tage, nachdem bei einer Meisterschaft von Dagestan eine Spielerin versucht hat, ihre Konkurrentin mit Quecksilber zu ermorden, platzt nun die Nachricht in die beschauliche Schachwelt, daß die Ethikkommission der FIDE den lettischen Schachspieler Andrejs Strebkovs wegen sexueller Belästigung junger, ambitionierter osteuropäischer Schachspielerinnen (darunter einige Minderjährige) für fünf Jahre gesperrt hat. Seit Jahren wurden sie mit Briefen, die pornographisches Material oder gebrauchte Kondome enthielten, behelligt, manche auch mehrfach. Als Absender wurden echte Personen genannt, unter anderem Exweltmeister Aleksandr Khalifman. Das lettische Nachrichtenportal Meduza, das sich mittlerweile auch bezüglich des Überfalls auf die Ukraine einen guten Ruf erworben hat, hat den Täter in einer spannenden Investigativrecherche ermittelt (russisch und lang, aber mit dem Google-Übersetzer ganz gut zu lesen).
Ich habe 2009 in der ersten Runde an Brett 2 des leider eingestellten Korbacher Opens gegen ihn gewonnen. Strebkovs war ziemlich stämmig und trug Alltagskleidung und immer eine Schirmmütze – Typ Fernfahrer. Er grinste die ganze Zeit monoton und zeigte keine Unmutsreaktionen (er gab noch zwei Remis gegen deutlich schwächere Gegner ab). Ich kann mich nicht erinnern, daß er auch nur ein Wort gesprochen hat. Dabei soll er sogar etwas Deutsch können.
Mein Sieg war damals innerhalb der regionalen Schachszene sehr aufsehenerregend. Eigentlich reicht meine Spielstärke nicht, um gegen Titelträger zu gewinnen (wiewohl ich einmal gegen GM Gutman im 39. Zug auf Gewinn stand). Hier aber hatte ich den IM nicht nur besiegt, sondern auch spektakulär überspielt. Die Analysen sind mit einem Computer der damaligen Zeit gemacht worden. Eine kurze Durchsicht mit dem gegenwärtigen Stockfish ändert aber wohl nichts an den Bewertungen.
Nach meiner Erinnerung wurde mir aber noch während des Turnieres klar, daß es massive Auffälligkeiten in seiner Ratinghistorie gibt, die auch Meduza erwähnt. Der 1981 geborene Strebkovs hatte in den Nullerjahren Elo zwischen 2085 und 2210 mit leicht steigernder Tendenz. Im Juli und August 2008 spielte er vier kurz aufeinanderfolgende Turniere in der Ukraine und hatte in der damals vierteljährlichen Auswertung im Oktober ein Eloplus von 264 Punkten auf nunmehr 2441 und wurde IM. Danach spielte er bis Sommer 2017 relativ viel und fiel wieder unter 2300. Es ist schwer verständlich, was das soll? Selbst wenn er als IM Konditionen wie Startgeldfreiheit und günstigstenfalls Übernachtung bekommt, senkt das erstmal nur seine Investitionen. Wenn er nicht in die Preisgeldränge kommt, verdient er damit kein Geld.
Meduza erwähnt Tätigkeit als Trainer. Für die Anwerbung von Schülern könnte der IM-Titel nützlich sein. Aber vielleicht ist es auch einfach nur banale Eitelkeit. Was Meduza anscheinend übersehen hat, ist, daß Strebkovs auch wiederholt als Plagiator von Schachproblemen auffällig geworden ist. Der slowakische Kunstschachexperte Ján Golha listet auf seiner Webseite dreißig(!) plagiierte Probleme, die Strebkovs offenbar bei Wettbewerben eingereicht hat. Bei vier davon hat er es in die Preisberichte geschafft.
Ohne ein Opfer persönlich zu kennen, wirkt das alles etwas putzig. Aber nüchtern betrachtet ist das eine Katastrophe. Das viele Opfer nicht mit Meduza sprechen wollten und auch kein Vertrauen in die Strafverfolgungsbehörden und schon gar nicht in die Verbandsfunktionäre hatten, heißt, daß sie diesen Aggressionen wehrlos ausgesetzt waren. Einige haben einfach darüber gelacht, aber diese Souveränität´ist nicht jedem gegeben. Wenn Mädchen, die in Schulschach-AGs mitunter in beträchtlicher Zahl auftauchen, einfach nicht in die Vereine wollen, liegt das dann wirklich daran, daß Schach für sie nicht kommunikativ genug ist, wie es immer heißt? Oder empfinden sie diese von Männern dominierten Versammlungen als potentiell bedrohlich? Und diese Frage darf man eher nicht denjenigen stellen, die sich besonders gut durchgesetzt haben. Ich habe ja nun selbst erlebt, wie Funktionäre reagieren, wenn man sich gegen Belästigungen wehrt (wobei es hier nicht sexuell konnotiert war). Sie wollen die Angelegenheit möglichst geräuschlos vom Tisch haben. Das ist menschlich sogar verständlich, bedeutet aber effektiv, daß Täterschutz das dominante Motiv ist. Bei mir hat das jedenfalls dazu geführt, daß ich keine große Lust mehr auf Schachveranstaltungen außerhalb des Vereins habe, wo ich die Bedingungen nicht selbst kontrollieren kann. Bei Strebkovs imponiert die Vehemenz, nicht das Tätersein an sich. Und jungen Frauen gegenüber sollte man so ehrlich sein, daß sie, wenn es zu Übergriffen kommt, von den Funktionären nichts zu erwarten haben.
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