Ein Besuch im Münzkabinett des Landesmuseums Hannover

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Zufällig war ich in Hannover gestrandet, weil ein Termin in Lehrte viel früher zu Ende gegangen war als erwartet. Spontan beschloß ich, in das Landesmuseum zu gehen. Da die archäologische Sammlung wegen Umbaumaßnahmen bis 2015 geschlossen ist und die Zeit begrenzt war, sah ich mir das Münzkabinett genauer an.

Mit Numismatik habe ich mich noch nie wirklich befaßt, obwohl ich natürlich um ihren Wert als historische Teildisziplin weiß. Das museale Problem liegt deutlich auf der Hand: man hat sehr wenig Objekt für vergleichsweise viel Information. Es ist sehr mühsam, kleine Objekte genau anzuschauen, wenn man sie nicht in die Hand nehmen kann. Zudem kann man immer nur eine Seite ansehen. Auf die üblichen Hilfsmittel des Analogzeitalters (Lupen, Spiegel für die Rückseiten) hat man ganz verzichtet. Stattdessen setzt man auf Technik. An jeder der nach thematischen und regionalen Gesichtspunkten zusammengestellten Vitrinen befindet sich ein Display, auf dem Erklärungen zu jeweils einer einzelnen Münze zu lesen sind, gefolgt von der Abbildung beider Seiten. Da bis zu 13 Münzen in einer Vitrine liegen, muß man bis zu 26 Seiten betrachten, wenn man alles anschauen möchte. Und wenn man mit dem Lesen nicht ganz fertig geworden ist, muß man den kompletten Durchlauf abwarten – oder an ein zentrales Gerät mit einem Touchscreen gehen, aber dann steht man nicht mehr an der Vitrine. Ich halte dieses Verfahren für sehr problematisch, weil es einen festen Zeittakt vorgibt und nur sehr wenig Zeit bleibt, um in die Vitrine zu sehen. Das Umblättern der Seite müßte unbedingt manuell steuerbar sein. Dazu ist das ständige Kopfwenden sehr anstrengend. Ich habe mal zwei volle Tage Kirchenbuchdaten von einem Microfichelesegerät in einen Laptop übertragen – fragen sie mal meinen Trapezmuskel, was der davon hält! Ich hätte es deutlich vorgezogen, die Sammlung mit einem gedruckten Führer in der Hand zu durchschreiten, aber einen solchen habe ich im Museumsshop nicht gefunden.

Prinzipiell wurden meine Erwartungen an den historischen Wert nicht enttäuscht, man erfährt wirklich eine Menge interessanter Sachen. Zwei Dinge haben mich allerdings ratlos zurückgelassen:

  1. Die Miniaturmünzen des 18. Jahrhunderts, wie sie unter anderem auch von Landgraf Friedrich Ⅱ. von Hessen-Kassel produziert wurden, werden als Spielerei bezeichnet, da sie ob ihrer geringen Größe nicht für den realen Zahlungsverkehr taugten. Was muß man sich aber unter Spielerei vorstellen? Spielgeld z. B. beim Kartenspiel? Oder wurden sie als Kuriositäten in geselliger Runde vorgezeigt?
  2. Die Sammlung des Münzkabinetts stammt von den Welfen (die wiederum ältere Sammlungen aufgekauft hatten) und wurde an die Deutsche Bank verkauft. Nach einer Phase der Public-private-Partnership ging sie erst im Jahr 2009 in Landesbesitz über. Die ursprüngliche Sammlung des Provinzialmuseums Hannover, aus dem das Landesmuseum hervorging, wurde vor 1933 versteigert. Wie konnte es zu einer solchen Barbarei kommen? Später mußte man Münzen, die man eigentlich schon mal besessen hatte, wieder ankaufen, um die Belege für die Sammlungsschwerpunkte zu vervollständigen.

Noch etwas fand ich problematisch. In dem Raum lief ein Bildschirm, aus dem geldbezogene Musiktitel schallten, von Money, Money, Money (Abba) über Musical (Anatevka, Cabaret), Oratorium (Händel) und Opernarien (Der Freischütz, Tiefland) bis zu Beethovens Klavierstück Die Wut über den verlorenen Groschen. Zwar war die Musik so gedämpft, daß ich zunächst dachte, sie käme aus einem anderen Raum, aber ich hatte ständig die Neigung, die Titel erraten zu wollen, was meine Konzentration erheblich von den Displays abgelenkt hat. Erst als ich den Bildschirm entdeckt hatte, habe ich mich davor gesetzt und einmal durchlaufen lassen.

Das Fazit ist dann schon recht ernüchternd. Trotz extrem interessanter Objekte war es mir kaum möglich, mich auf den Inhalt der Ausstellung in angemessener Weise zu konzentrieren. Ich habe gewiß nichts gegen Computer, aber hier sind sie eher überflüssig. Wie gesagt, ich hätte mir die Austellung lieber mit einem papiernen Führer in der Hand angesehen. Es hat etwas nahezu Inhumanes, wenn man die Konzentration so sehr dem Takt technischer Geräte unterwirft. In meiner Besprechung der Archimedes-Ausstellung 2012 hatte ich sogar explizit den Einsatz von Computersimulationen gefordert – hier aber zur Visualisierung nichttrivialer logischer Zusammenhänge. Wichtig scheint mir zu sein, daß der Benutzer die Geräte soweit steuern kann, daß er sie seiner Aufmerksamkeitsspanne unterwirft und nicht umgekehrt. Sehr erfreulich ist hingegen, daß man die gesamte Ausstellung als Flash Video auch im Internet betrachten kann. Es ist genau dasselbe Programm, daß auch auf dem Touchscreen zu sehen ist. Das allerdings ist ein vorbildlicher Gebrauch moderner technischer Möglichkeiten, der mich am Ende doch etwas versöhnlich stimmt. Diese Möglichkeit hätte ich auch bei anderen Ausstellungen gerne.

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