Anmerkungen zu Claudia Theune ‘Archäologie an Tatorten des 20. Jahrhunderts’

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Archäologie an Stätten der jüngeren Neuzeit war mir bislang hauptsächlich aus Übersee bekannt, wo eine chronikalische Überlieferung häufig erst sehr spät einsetzt, wird jetzt aber auch verstärkt in Europa betrieben. Das neue Sonderheft der Zeitschrift Archäologie in Deutschland informiert über Grabungen auf Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges, in nationalsozialistischen Konzentrationslagern und Grenzanlagen des Kalten Krieges.1 Verantwortet hat das Heft die als Frühmittelalterspezialistin bekannt gewordenene Wiener Universitätsprofessorin Claudia Theune-Vogt. Daß die Untersuchungen in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Mauthausen von ihr selbst geleitete Projekte sind, erfährt man nur auf der Webseite – ein bißchen zu bescheiden.

Zunächst fragt man sich natürlich, warum man in den umfangreich verschrifteten Epochen der Zeitgeschichte überhaupt teure Ausgrabungen unternehmen soll? Da Schützengräben oder Lagerbaracken aber keine auf Dauer angelegten Bauwerke sind, können die recht schnell aus der visuell erfaßbaren Landschaft verschwinden. Und die Grenzanlagen des Eisernen Vorhangs mußten schnell zurückgebaut werden, damit die befreiten Menschen Vertrauen in die Irreversibilität des Endes der sowjetischen Hegemonie entwickeln konnten. So kommt es, daß man mitunter archäologische Methoden braucht, um Bauwerke zu erforschen, die vor weniger als einem Vierteljahrhundert noch gestanden haben. Und bei manchen Konzentrationslagern ist ohne archäologische Sondierung nicht einmal mehr der genaue Standort bekannt.

Auch wenn Theune darauf hinweist, daß solche zeitgeschichtlichen Bodenkmäler mittlerweile recht selbstverständlich im Fokus der archäologischen Denkmalpflege stehen, so wird doch klar, daß viele größere Untersuchungen mit der Einrichtung von Gedenkstätten in Verbindung stehen. Auch das Erscheinen des Bandes im Zentenarium des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges ist natürlich kein Zufall. Wenn man diese enge Anbindung des Themas an die historische Erinnerungskultur bedenkt, wird aber ein kritisch zu sehender Punkt um so auffälliger. Theune läßt die umfangreiche Tagebuch- und Erinnerungsliteratur fast völlig außen vor. Wie die Bilanz in der Rekonstruktion des Alltagslebens der Häftlinge dann aussähe, wäre nicht ganz unwichtig zu wissen. Anne Frank findet Erwähnung, aber deren Aufzeichnungen reißen mit der Verhaftung ab. Ich finde es schon recht problematisch, im Methodenkapitel einerseits über die Tyrannei der Schriftquellen zu räsonnieren, dann aber diese enorm wichtige Literaturgattung zu ignorieren. Das provoziert ja geradezu solche Mißverständnisse, wie man sie kürzlich während einer Plagiatsdebatte um ein Buch über Seeschlachten erlebte, als die Mittelalterarchäologie zu einer hochspekulativen Disziplin erklärt wurde (s. dazu den Blogbeitrag von Rainer Schreg mit der Replik des Autors).

Sofern man diesen Mangel im Hinterkopf behält, ist es aber ein interessantes Heft über eine junge Forschungsrichtung in der gewohnt optisch ansprechenden Ausführung.


Anmerkungen

1Claudia Theune: Archäologie an Tatorten des 20. Jahrhunderts. Archäologie in Deutschland Sonderheft 6/2014. Darmstadt: Konrad Theiss Verlag 2014, 112 S. ISBN 9783806229615

Anmerkungen zu Claudia Theune 'Archäologie an Tatorten des 20. Jahrhunderts' 1

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