Vorbemerkung: Text eines Kurzreferates, daß am 21.1 1991 im Proseminar Einführung in die vor- und frühgeschichtliche Archäologie des Institutes für Vor- und Frühgeschichte der Universität Tübingen unter Leitung von Prof. Manfred Korfmann gehalten wurde – damals noch auf einer mechanischen Schreibmaschine verfaßt! Die erwähnte Ringvorlesung war ein Querschnitt durch das Tübinger Troia-Projekt.
Definition und System der Geographie
Die Geographie befaßt sich mit der dreidimensionalen Struktur der Erdoberfläche. Das heißt, daß sie alles, was auf den Raum (die Erdoberfläche) wirkt, untersucht. Das gilt für natürliche Einflüsse ebenso wie für anthropogene Einflüsse. Darüberhinaus untersucht sie alles, was vom Raum bedingt wird. Dieses weite Gesichtsfeld des Geographen bringt es mit sich, daß in der Geographie sehr viele Einzeldisziplinen zusammenlaufen, z. B. Geologie, Biologie, Sozialwissenschaft, Wirtschaftswissenschaft etc. Der räumliche Erkenntnisbereich der Geographie umfaßt die Lithosphäre, Hydrosphäre, Pedosphäre, Biosphäre, Soziosphäre und die Athmosphäre. Die Geographie beschränkt sich heutzutage nicht mehr nur auf die Beschreibung der Erdoberfläche. Diese bildet nur einen wichtigen Teil ihrer Aufgaben. Genese, Funktion und sogar die Entwicklungstendenzen spielen in der modernen Geographie eine entscheidende Rolle.
Die Teildisziplinen
Die Geographie teilt sich in die Allgemeine und die Regionale Geographie. Die Regionale Geographie beschäftigt sich mit Landschafts- und Länderkunde, also mit Beschreibung und Vergleich bestimmter definierter Gebiete. Die Allgemeine Geographie hingegen beschäftigt sich mit eizelnen Geofaktoren (z. B. Vegetation,Verkehr etc.). Sie unterteilt sich noch einmal in die Physische Geographie und die Kulturgeographie. Die Physische Geographie untersucht in ihren Einzeldisziplinen die natürlichen Geofaktoren (Vegetationsgeographie, Hydrogeographie, Klimageographie) und verwendet dabei Methoden der Naturwissenschaften. Die Kulturgeographie hingegen untersucht die anthropogenen Geofaktoren (Sozialgeographie, Wirtschaftsgeographie, politische Geographie u. a. m.). Sie wird auch als Anthropogeographie bezeichnet und arbeitet mit sozial- und geisteswissenschaftlichen Methoden. Der Zweig der Geographie, der sich mit geschichtlichen Epochen befaßt, wird als Historische Geographie bezeichnet. Ihre Quellen sind aber im allgemeinen schriftlicher Natur, so daß Hermann Müller-Karpe ihr in Bezug auf die Vorgeschichte nicht mehr zubilligt als Anregungen und Interpretationsmöglichkeiten (Müller-Karpe S. 15f.). In diesem Sinne äußert sich auch Jankuhn, der sinngemäß schreibt, daß die Siedlungsarchäologie dort aufhört, wo die Siedlungsgeographie anfängt (Jankuhn 1977 S. 6).
Siedlungsgeographie
Die Siedlungsgeographie untersucht Siedlungen nach ihrer Physiognomie (Größe, Grundriß), Lage, Verteilung, Dichte, Funktion, Genese, räumlichen Organisation, hierarchischen Ordnung sowie ihrer regionalen Differenzierung. Die Siedlungsgeographie ist sehr stark sozialwissenschaftlich ausgerichtet.
Die archäologische Untersuchung einer Siedlung hat ein ähnliches Interesse. Größe und Grundriß einer Siedlung sind bei siedlungsarchäologischen Untersuchungen fast zwangsläufig von Interesse; ihre erschöpfende Prospektion oder gar Ausgrabung hängt wohl mehr von Äußerlichkeiten wie Geld, Zeit und Personal ab. Der Ringvorlesung entnehme ich, daß auch die Schichtung von Folgesiedlungen dem im Wege stehen kann, da man die Gebäude oder Schichten nicht einfach weggraben kann, um an untere zu gelangen.
Die Lage der Siedlung entspricht dem, was im Referat Siedlungsarchäologie unter naturräumliche Voraussetzungen behandelt wurde, dazu kommt vor allem die Anbindung an Verkehrswege. Das eindrucksvollste Beispiel entnehme ich wiederum der Ringvorlesung: das Segeln gegen den Wind wurde um die Zeitenwende herum erfunden. Die Strömung driftet aus den Dardanellen heraus, so daß man sich nicht treiben lassen kann, und weht nur sehr selten und kurzfristig gegen die Strömung. So mußten Schiffe entweder vor Anker gehen, treideln oder die Waren über Land transportieren, so daß die Trojaner Zölle erheben konnten.
Dieses Beispiel macht deutlich, daß sich die verschiedenen Disziplinen der Geographie nicht exakt voneinander trennen lassen. Man hätte es auch unter Wirtschaftsgeographie aufführen können und die geomorphologischen Grundlagen wie Wind und Strömung sind ebenfalls deutlich.
Von der Problematik der Siedlungsdichte war bereits im Referat Siedlungsarchäologie die Rede. Fundleere muß nicht Besiedlungsleere bedeuten. Ferner setzen Aussagen über Siedlungsdichte in der archäologischen Forschung voraus, daß man verschiedene Siedlungen als gleichaltrig bestimmen kann. Sie errechnet sich aus Siedlungen pro Flächeneinheit. Allerdings sind Ergebnisse verschiedener Autoren nicht direkt vergleichbar, weil es keine einheitliche Einordnung von Einzelsiedlungen und -gehöften gibt. Die Siedlungsdichte darf nicht Bevölkerungsdichte verwechselt werden, die sich aus Einwohnern pro Flächeneinheit errechnet.
Siedlungen können verschiedene Funktionen haben, auch in prähistorischer Zeit. Jankuhn berichtet z. B. von einer neolitischen Siedlungen in Bømlo an der norwegischen Westküste, die zum Abbau feinporigen Grünsteins diente, der nicht an Ort und Stelle weiterverarbeitet wurde. Als vorherrschende Funktionen unterschiedlicher Siedlungen wären vor allem Landwirtschaft, Rohstoffgewinnung, Warenproduktion, Märkte und militärische Nutzung zu nennen.
Mit hierarchischer Ordnung ist die wirtschaftsgeographische Komponente gemeint. Zentrale Orte haben immer Einzugsgebiete aus kleineren Orten, die von dem zentralen Ort versorgt werden. Aber auch an Pendlerverkehr ist zu denken.
Regionale Differenzierung heißt letztlich, daß man aufgrund der vorher genannten Merkmale die Siedlungen verschiedener Regionen vergleicht.
Wirtschaftsgeographie
Die Wirtschaftsgeographie erfaßt und erklärt räumliche Verbreitungs- und Verknüpfungsmuster wirtschaftlichen Handelns einzelner Menschen und sozialer Gruppen. Sie läßt sich selbst wieder in verschiedene Gebiete aufteilen, in erster Linie in Agrargeographie, Industriegeographie und Geographie des tertiären Sektors. Zu letzterem gehört auch die Verkehrsgeographie.
Der Untersuchungsgegenstand der Wirtschaftsgeographie ist der sogenannte Wirtschaftsraum
. Dieser ist entweder durch ökonomische oder soziale Strukturen begrenzt, also z.B. ein Raum, der durch Landwirtschaft geprägt wird (sozio-ökonomischer Wirtschaftsraum). Er kann aber auch durch seine funktionale Verflechtung charakterisiert sein, also der zentrale Ort und sein Einzugsgebiet (Wirtschaftsraum des zentralen Ortes). Ein Wirtschaftsraum ist im allgemeinen nicht mit Verwaltungsgrenzen identisch. Seine exakte Abgrenzung wird meist auf Grundlage einer kleinräumigen Datenbasis vorgenommen (z. B. Gemeinden). In der Archäologie findet diese Methode ihre Grenzen durch die Aussagefähigkeit der Funde und Befunde, wird aber angewandt: Paul Halstead führte eine Untersuchung für den minoischen Palast auf Kreta durch, wobei er freilich auch Linear-B-Täfelchen benutzte (Sheridan/Bailey S. 187f.)
Das Wirtschaften des Menschen ist stark von geologischen und geomorphologischen Komponenten abhängig und beinflußt diese auch. Hier kann noch einmal auf Troja verwiesen werden (s. o.) Wenn der Mensch Rohstoffe abbauen will, muß er Siedlugsgründungen auch in unwirtlichen Gebieten vornehmen. Jankuhn berichtet von Siedlungen, die auf sehr unfruchtbarem aber erzreichen Gelände liegen. Diese Siedlungen wurden durch ihre Friedhöfe erschlossen, wobei in den Gräbern Eisenschlackeblöcke gefunden wurden. Dieser Befund läßt den Schluß zu, daß es sich hier um Siedlungen handelt, die zur Eisengewinnung dienten, ohne die Siedlungen gefunden zu haben. (Jankuhn 1977 S. 173ff.)
Die durch den wirtschaftenden Menschen veränderte Landschaft nennt man Wirtschaftslandschaft. Sie kann durch Rohdung, Bergbaau, Landwirtschaft etc. entstehen. Zuweilen läßt sie sich in sehr kleinen Dimensionen nachweisen, z. B. bei vorgeschichtlichen Ackerfluren.
Zuletzt ist noch auf die Handelsgeographie hinzuweisen. Bei der geographischen Untersuchung des Handels setzt sie sich in Ermangelung eines abgrenzbaren Raumes Schwerpunkte auf der Konsumenten- oder Produzentenseite oder beim Transportweg, der in die Verkehrsgeographie gehört.
Verkehrsgeographie
Die Verkehrsgeographie ist ein Teil der Wirtschaftsgeographie. Sie befaßt sich nicht nur mit der Verteilung von Verkehrswegen auf der Erdoberfläche, sondern auch mit Verkehrsmitteln, Funktionen und gruppenspezifischen Aktivitäten.
Von großer Bedeutung sind die naturräumlichen Voraussetzungen, wobei man wieder Troja als Beispiel anführen könnte (s. o.). Bei diesem Beispiel zeigt sich Abhängigkeit vom technischen Entwicklungsstand des Verkehrsmittels, denn als man gegen den Wind segeln konnte, war der geomorphologische Vorteil Trojas verschwunden.
Ein weiterer Gesichtspunkt ist die Prägung der Landschaft durch den Verkehr (Wirtschaftslandschaft! s. o.). Diese beschränkt sich nicht allein auf die Veränderungen durch den Bau von Vekehrswegen, denn begünstigte Orte an natürlichen Wegen ziehen auch Siedlungen an.
Das Zusammenspiel von Mittel, Weg, Naturraum und Funktion kann man veranschaulichen, indem man Pferd und Esel miteinander vergleicht: das Pferd kann 150 kg tragen ung Karren bis 1,5 t ziehen, auf Schienen sogar bis 15 t. Der Esel hingegen trägt nur 60–80 kg und zieht leichte Karren. Das Pferd hat ein sehr großes Verbreitungsgebiet (subpolare bis tropische Regionen, meidet aber Afrika wegen der Tse-Tse-Fliege)‚ während der Esel Feuchtigkeit, Kälte und Schnee nicht gut verträgt und deshalb vornehmlich in trockenen Regionen vorkommt. Dementsprechend ist er aber auch in der Ernährung anspruchsloser und verträgt mehr Durst. Das Pferd ist wendiger (Militär!)‚ der Esel aber trittsicherer,was ihm im Gebirge zugutekommt.
Auch nach gruppenspezifischen Aktivitäten, also vornehmlich sozialen Unterschieden läßt sich archäologisch im Verkehr forschen. Ein Beispiel ‘aus der Merowingerzeit: Walter Janssen schreibt‚ daß die wenigen mrowingerzeilichen Wagenfunde in Gräbern in Bislich, Krefeld-Gellep, Zeuzleben und Gispersleben in keinem Verhältnis zu den häufigeren Pferdegräbern stehen und in erster Linie in Gräbern reicher Fürstinnen vorkommen. Er schließt daraus, daß der Wagen in der Merowingerzeit meistens von Frauen (zumal schwangeren)‚ Alten und Kranken benutzt wurde, sofern man ihn sich leisten konnte. Andere benutzten Pferde oder, wenn sie zu arm dafür waren, das älteste Verkehrsmittel der Menschheit: seine eigenen Füße.
Hassinger, H. 1931 Geographische Grundlagen der Geschichte. ( = Geschichte der führenden Völker 2 ) Freiburg/B.
Hodder, I. u. Orton, C. 1976 Spatial analysis in archaeology. Cambridge, London, New York, Melbourne
Jankuhn, H. 1977 Einführung in die Siedlungsarchäologie. Berlin, New York
Jankuhn, H.; Kimmig , W. u. Ebel, E. 1989 Untersuchungen zu Handel und Verkehr in vor-und frühgeschichtlicher Zeit in Mittel- und Nordeuropa, Teil 5: Der Verkehr. ( = Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen phil.-hist. Klasse, dritte Folge, Nr. 180 ) Göttingen.
Leser, H. et al. 1989 Diercke-Wörterbuch der Allgemeinen Geographie. München, Braunschweig
Müller-Karpe, H. 1975 Einführung in die Vorgeschichte. München
Sheridan, A. u. Bailey, G. 1981 Economic Archaeology. Oxford
Wagner, Julius 1969 Kulturgeographie. ( = Harms Handbuch der Erdkunde IX ) München, Frankfurt, Berlin, Hamburg, Essen
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