Der zweite 100. Geburtstag von Mensch ärgere dich nicht

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Als Seiteneffekt des 100. Jahrestages des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges können wir dieses Jahr auch den 100. Geburtstag des Mensch ärgere dich nicht-Spieles feiern. Allerdings ist es schon die zweite Hundertjahrfeier nach 2010. Der Münchner Handelsangestellte Josef Friedrich Schmidt (*1871 †1948) hat das Spiel um 1907 gebastelt, um seine Kinder in einer winzigen Wohnung durch Beschäftigung ruhig zu stellen. 1910 hat er versucht, das Spiel zu vermarkten – jedenfalls feierte Klaus Ungerer schon 2010 in der FAZ. Aber erst als er 1914 3000 Exemplare als Spende an die Armee verschickte, wurde das Spiel populär. 1920 waren eine Million Stück zu je 35 Pfennig verkauft. Da das Archiv der noch heute zumindestens als Markenname existenten Firma Schmidt Spiele GmbH in Berlin nach Auskunft des Monopoly-Sammlers Roland Klose vollständig verbrandt ist, ist von dieser Seite kein Aufschluß über die genauen Daten zu erwarten. Interessant wäre also, ob es irgendwelche Einträge in Warenkatalogen oder Reklameanzeigen in Zeitschriften vor 1914 gibt? Das Spielzeugmuseum Nürnberg gibt in einer Presseerklärung zu einer Sonderausstellung im Jahre 2004 allerdings an, die Vorkriegsauflagen seien nur privat verteilt worden. Es ist doch recht bemerkenswert, daß Schmidt 1914 über eine so große Menge, deren Herstellung ja vorfinanziert werden mußte, verfügen konnte.

Sicherlich falsch ist die in den aktuellen Pressemeldungen zu lesende Angabe, das Spiel sei schon über 2000 Jahre alt. Es mag sein, daß altorientalischen Spielen eine ähnliche Spielidee zu Grunde lag. Wissen können wir das nur für das mesopotamische 20-Felder-Spiel, sofern Irving L. Finkels Deutung einer Keilschrifttafel als Regularium korrekt ist1 – dann wären wir sogar bei ca. 4500 Jahren zurück in der Bronzezeit. Es fehlt aber an einer durchlaufend nachweisbaren Tradition, und in der Geschichte der Menschheit sind weit komplexere Erfindungen wie die Pflanzenzucht oder die Herstellung gebrannter Keramik mehrfach gemacht worden. Das indische Pachisi als wahrscheinlicher Urahn jedenfalls ist erst seit dem 16. nachchristlichen Jahrhundert belegt.2

Und noch ein Querverweis zum Schluß: in der Ausstellung Heiter bis göttlich im Kloster Dalheim war ein Derivat mit dem Titel Mönch ärgere dich nicht zu sehen.


Anmerkungen

1Irving L. Finkel: On the Rules of the Royal Game of Ur. In: Irving L. Finkel (Hg.): Ancient Board Games in perspective. Papers from the 1990 British Museum colloquium, with additional contributions. British Museum. London: British
Museum Press
2007, 281 S. ISBN 9780714111537, S. 16–32
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2Irving Finkel: Pachisi. In: Ulrich Schädler (Hg.): Spiele der Menschheit. 5000 Jahre Kulturgeschichte der Gesellschaftsspiele. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2007, 224 S. ISBN 9783896786159, S. 82–91.

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